16.

Der normale Fernsehzuschauer macht sich keine Vorstellung von dem ungeheuren Druck, unter dem wöchentlich gesendete Produktionen stehen. Stars und Personal verbringen weitaus mehr Zeit miteinander als mit ihren Familien. Wenn sie nicht gerade schlafen, sind sie fast ständig zusammen. So werden Ängste, Konkurrenzneid, Eifersucht, Unsicherheiten und Intrigen, kurz alles, was ein Mensch unter Druck hervorbringt, potenziert. Verglichen mit einer Produktion dieser Art wirkt der US-Senat richtig erwachsen.

Natürlich brechen Fehden aus. Man hört von dem schlechten Benehmen der Stars bei den Aufnahmen. Solche Geschichten gibt es haufenweise. Die Frauen benehmen sich wie Kinder, die Männer wie Babys. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Streitereien unter Frauen bei den Medien auf mehr Interesse stoßen als die unter Männern.

Manchmal fällt es nicht schwer, die Wogen zu glätten. Man muß nur dem Star seinen Willen lassen. Gibt es nur einen echten Star, kann man leicht katzbuckeln und hat seine Ruhe. Bei Dallas hatte Larry Hagman das Sagen. Beim Denver Clan war Joan Collins die Primadonna. Aber bei Three for the Road waren alle drei Akteurinnen gleich wichtig, und jede war auf ihre Art schwierig.

Nie hat es böseres Blut gegeben, nie war die Rivalität größer, nie wurde mit härteren Bandagen gekämpft. Gegen Ende der Saison wurde die Atmosphäre verheerend. Just zu diesem Zeitpunkt stieß Neil Morelli zu dem Team.

Neil stieg aus dem Bus und lief die zwei Straßenlängen zu dem Studio. Mit dem Auto hätte er für die Fahrt zwanzig Minuten gebraucht. Mit dem Bus, der an jeder Ecke hielt, brauchte er eine Stunde. Das lag an den Alten. Neil fragte sich, woher diese vielen alten Frauen kommen mochten. Schickte die Regierung alle Frauen ab einem bestimmten Stichtag nach Kalifornien? Er wünschte sich ein Gesetz, das Passagiere ausschloss, die länger als fünf Minuten brauchten, um in einen Bus zu steigen.

»Neil Morelli«, nannte er seinen Namen bei dem Pförtner. Der sah auf sein Besucherbuch und dann auf den Mann vor ihm. »Mein Auto ist beschlagnahmt worden.« Er lächelte.

Auch der Wachmann lächelte. »Verstehe, Mr. Morelli. Sie werden erwartet. Set 5. Hinter dem Hauptgebäude links.« Er tippte sich an die Mütze. Neil imitierte das Starten eines Wagens, legte einen imaginären Gang ein — begleitet von den entsprechenden Geräuschen —, kurbelte an seinem Phantomsteuerrad und fuhr ab.

Das ist schon eher was nach meinem Geschmack, dachte er auf dem Weg zu dem Set. Hier gehöre ich hin. Neil war wie betäubt gewesen, als das Büro von Sy Ortis ihn anrief. Er hatte nicht mit Sy selbst gesprochen. Aber vielleicht war der Typ doch kein solcher Mistkerl, wie Neil das unterstellt hatte. Er nahm sich vor, Sy anzurufen und sich für sein Verhalten damals zu entschuldigen.

Neil ging in das Gebäude, das einem Hangar glich und sah sich um. Als er die Geschäftigkeit spürte, schoß ihm ein Adrenalinstoß durch die Adern. Er wurde ganz high. »Wo ist der Regieassistent von Unit Z?« fragte er einen Techniker, der eine Kabelrolle schleppte. Der Mann machte eine Kopfbewegung in die Richtung, hielt sich aber nicht auf.

Neil ging zu der Frau in Sweatshirt und Jeans, bewaffnet mit einem Notizbuch, die Anweisungen bellte. So, wie sie aussah, fand Neil, daß ihr nur noch eine Trillerpfeife an einer Kordel um den Hals fehlte. Das war also der Regieassistent.

Neil setzte sein freundlichstes Lächeln auf. »Hallo, ich bin Neil Morelli.«

»Ja.« Sie ging einfach davon, tief versunken in das, was sie auf ihren gelben Block schrieb.

»Ich trete in der Sendung hier auf. Es war da irgendein Durcheinander, weshalb ich meinen Text nicht bekam. Aber ich lerne schnell.«

Nun blieb sie stehen, sah auf ihre Liste, nickte und kreuzte etwas auf ihrem Block an. »Ich bin Ronnie Wagner. Nimm dir deinen Text von dem Tisch dort drüben. Und lies ihn durch. Wir machen die Aufnahme in einer Stunde.« Sie wollte gehen.

»Und was für eine Rolle habe ich?«

Sie wurde ungeduldig. »Weiß nicht. Ein Kellner oder so.« »Nicht eine fortlaufende Rolle?« Die Angst in seiner Stimme wurde unüberhörbar.

»Du bist kaum mehr als ein Statist. Vier Zeilen oder weniger. Du wirst nur bei Bedarf eingesetzt. Verträge gibt es dafür nicht. Warum ist dir das nicht erklärt worden, als du den Job bekommen hast?«

Ihr Ton gefiel ihm nicht, noch weniger ihre herablassende Art. Zorn stieg in ihm hoch. »Moment mal, du. Ich bekomme meine Rollen auf Grund meiner Begabung, und mein Agent kümmert sich um die Einzelheiten. Mein Agent ist Sy Ortis. Nein, ich habe die Einzelheiten von ihm noch nicht bekommen. Wir treffen uns nach den Aufnahmen. Dabei werde ich deinen Namen erwähnen. Besten Dank!« Er stapfte davon.

Wütend riß er den Text an sich, der auf dem Tisch lag und suchte nach seiner Rolle. Du große Scheiße! »Erster Kellner« war gelb markiert. Das Luder hatte recht gehabt. Es waren noch nicht einmal vier Zeilen. Zumindest bedeutete das, daß der Agent daran nicht mitverdiente. Aber wenn Sy nicht daran verdiente, warum hatte er sich dann die Mühe gemacht? Was ging hier vor? Er las die Zeilen. Sie waren noch nicht mal komisch.

»Hallo, wie geht's?« fragte jemand hinter ihm. »Ich bin Todd Shanley, zweiter Kellner.« Er lächelte breit. »War mit Ronnie auf der Schule.«

Das war wieder Wasser auf Neils Mühlen. Offenbar mußte niemand in dieser verfluchten Stadt eine Bewerbung ausfüllen oder einen Test machen. Nicht mal Sekretärinnen. »Schön, wenn man Beziehungen hat«, sagte er nur. »Wem mußt du's denn besorgen, um fünf Zeilen zu bekommen?«

»Wem ich's besorgen muß?« Todd verstand ihn nicht.

Mit Neil ging das Temperament durch. »Ich ficke Ronnie Wagner drei- bis viermal die Woche. Schon seit zwei Jahren. Und wenn ich es wirklich gut mache, bekomme ich nächstes Mal sogar noch eine größere Rolle.« Damit ließ Neil den jungen Mann stehen, der ihm mit offenem Mund nachstarrte.

Er ging zu einem öffentlichen, Fernsprecher und wählte die Nummer von Sy Ortis Büro. Er kannte die Stimme der Sekretärin. »Hallo Laura, ich würde gern mal mit dem Boss sprechen, um mich bei ihm für den Job zu bedanken.« Überraschend schnell wurde er durchgestellt. »Sy, vielen Dank für den Job, Mann. Das weiß ich echt zu schätzen. Ich war eine ziemliche Laus in Ihrem Pelz. Tut mir leid. Nun mußte ich Ihnen einfach sagen, daß ich Ihnen für diese Chance dankbar bin.« Neil machte eine Pause. »Besonders, wo Sie gar nichts daran verdienen, weil es eine Kurzrolle ist.«

Neil erwartete, daß Sy jetzt etwas sagte, doch der tat ihm den Gefallen nicht. »Das werde ich eines Tages wieder gutmachen. Warten sie nur ab. Ich werde aus diesem Kurzauftritt eine fortlaufende Rolle machen. Sagen Sie, muß ich mich bei noch jemandem bedanken? Wie haben Sie mich überhaupt aufgetrieben? Ich möchte nämlich nicht undankbar erscheinen.« Er zögerte wieder und hörte, wie Sy asthmatisch keuchte und sein Spray benutzte. Er murmelte etwas.

»Marty DiGennaro? Scheiße, wenn ich gewußt hätte, daß er im Club ist, hätte ich mich noch mehr angestrengt. Aber das freut mich, zu hören. Der Direktor hat also meinen Auftritt gut gefunden. Okay, aber warum hat er mir dann keinen komischen Text gegeben, einen, der Lacher bringt?« Doch sofort sagte Neil sich, daß er sich beherrschen mußte. Mit Unverschämtheit kam er nicht weiter.

Er versprach also, geduldig zu sein und bedankte sich erneut.

Ronnie trommelte alle zur Aufnahme zusammen. Sie sollte in einem Hippie-Lokal spielen. Neils Herz klopfte, als er die drei Stars der Show von ihren Garderobenwagen kommen sah. Er gehörte nun sicher nicht zu denen, die beim Anblick von Stars in Ekstase geraten. Doch die Frauen waren sehenswert. Neil hatte sich die Serie nur einmal angesehen, weil diese Lila Kyle mitspielte. Doch als er dann die Aufforderung erhielt, ins Studio zu kommen, lieh er sich alle Videos der Serie aus und sah auf einem geborgten Videorecorder vierundzwanzig Stunden lang Three for the Road. Man hätte meinen sollen, das habe ihn abgestumpft. Doch Lila war noch schöner als auf dem Bildschirm, und die anderen standen ihr kaum nach.

Marty DiGennaro erschien. Sofort begann die Arbeit. Allmählich machte es Neil Spaß. Er riß sogar einen kleinen Witz. Alles ging auch gut, bis Lila Neil plötzlich entdeckte. »Moment mal«, unterbrach sie die Probe. »Kenne ich dich nicht?«

»Ich hab bestimmt nie das Vergnügen gehabt, Miss Kyle. Ich bin Neil Morelli«, antwortete er lächelnd und streckte die Hand aus, ließ sie aber gleich wieder fallen, weil sie nicht genommen wurde. Sein Gesicht rötete sich. Alle starrten ihn an.

»Dachte ich mir's doch. Ich hab von dir gehört. Du bist der Typ, der über die Familien im Business herzieht. Wie nett, daß du nicht zu selbstgerecht bist, selbst vom Geschäft zu profitieren.«

Neil fiel auf, wie Sharleen Smith zusammenzuckte und sich abwandte. Jahne trat vor, hielt dann aber inne. »Ich arbeite, wo ich Arbeit finde, Miss Kyle.«

Sharleen kam auf ihn zu und stellte sich vor. »Freut mich, dich bei uns zu haben, Neil. Ich hab schon gehört, daß du eine komische Nummer drauf hast.« Jahne Moore stand direkt hinter Sharleen. Sie schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und nahm dann wieder ihren Platz ein.

Die Atmosphäre war geladen. Neil geriet in immer größere Hektik, je näher der Moment seines Auftritts kam. Beim erstenmal brach Lila in seinen Text ein und tat so, als habe Neil den Fehler gemacht. Bei der zweiten Aufnahme stieß sie ihn mit dem Ellenbogen und beschuldigte ihn, seinen Einsatz verpaßt zu haben. Neil hätte Lila am liebsten erwürgt. Er war so aufgeregt, daß er fürchtete, nun wirklich einen Fehler zu machen.

Sie versuchten eine dritte Aufnahme, dann eine vierte. Zu viele Versuche für einen so kurzen Text. Neil begann zu schwitzen. Das war sein Ende. Das wußte er. »Ich möchte dich sprechen, Marty«, verlangte Lila. Neil hörte, was sie sagte, und das hatte sie ja auch beabsichtigt. »Schmeiß den Kerl raus!« Doch diesmal schüttelte Marty den Kopf und ließ sie stehen. Jesus, was soll ich nur machen? dachte Neil verzweifelt. Er wußte, daß alle ihn ansahen, jede seiner Bewegungen beobachteten. Und in dieser Minute schwor er sich, daß er Lila Kyle eines Tages töten würde.

»Nicht genug damit, daß ich heute wegen Birth of a Star vorspreche, ich muß mich auch noch mit diesem Arschloch befassen. Marty, ich stehe vor einem Nervenzusammenbruch. Ich kann nicht arbeiten, wenn er neben mir ist. Der macht mir Streß.« Sie legte die Hand an die Stirn, als litte sie unter Kopfschmerzen.

»Gut. Dann wollen wir sehen, daß wir fertig werden, damit du rechtzeitig zu deinem Termin kommst. Vergiß den Mann, Lila.«

»Das kann ich nicht, verdammt noch mal, Marty. Er ist ein Schwein, das mich runtermacht, mich mit Tori Spelling vergleicht. Der bringt doch jeden auf die Palme. Sieh dir mal Jahne an.«

Marty wandte sich Jahne zu. Sie wirkte verstört. »Du hast recht, Lila. Okay, jetzt machen wir diese Szene, dann helfe ich dir mit deinem Text für das Vorsprechen.«

»Schmeiß ihn erst raus!« verlangte sie so laut, daß es jeder hören konnte. Sie wollte ja, daß dieser miese Wurm es auch mitbekam, wem er den Rauswurf verdankte.

Marty schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht, Lila. Ich stehe da in einer Schuld. Für eine Serie muß ich ihn mindestens behalten.« Damit ließ er sie stehen.

Lila fühlte sich blamiert. Jeder hatte ja gehört, was sie verlangt hatte. Doch Marty hatte ihren Wunsch nicht erfüllt. Das war für ihn ungewöhnlich. Gerade jetzt durfte Lila das nicht dulden. Er wagte es, sich auf die Seite dieses Typen zu stellen! Dieses Frettchen. Jeder kannte doch seine Satire. Lila hatte gehört, wie die Techniker sich mitunter über manche von Neils Witzen amüsierten und sie weitererzählten. Sie verfluchte Neil, und sie verfluchte Marty.

Doch dann verdrängte sie das. Sie mußte sich an diesem Tag auf Wichtigeres konzentrieren. Die Rolle ihres Lebens. Mit den Neil Morellis dieser Welt konnte sie anschließend abrechnen. Nachdem sie die Rolle hatte. Denn nach diesem heutigen Tag würde ihr Ruhm heller strahlen als der ihrer Mutter. Wenn April Irons mich sieht, wird sie schon einsehen, daß ich die einzig richtige Besetzung bin. Marty sagt ja, daß ich gut sein würde. Doch das genügt mir nicht. Ich will ganz groß, ich will einmalig sein. Dann zertrete ich diese Kakerlaken hier.

Die schoenen Hyaenen
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